Wir beginnen mit einem kleinen baugeschichtlichen Rückblick

Der hier gegebene kleine baugeschichtliche Rückblick folgt der Darstellung in dem Kirchenführer von Ute Kegel zur Evangelischen Kirche in Bischmisheim.

Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war die alte evangelische Kirche in Bischmisheim so baufällig geworden, dass sie von der Polizei geschlossen wurde. Ein Neubau musste geplant werden. Bischmisheim gehörte damals wie die Hälfte des heutigen Saarlandes zu Preußen, und so wurde in letzter Instanz in Berlin entschieden, nach welchen Plänen die neue Kirche erstellt werden sollte. Der von hier nach Berlin eingereichte Plan saheinen konventionellen Kirchenbau vor; d.h. einen Bau mit rechteckigem Grundriss. Aber der Plan geriet in die Hände von Karl Friedrich Schinkel, und damit begann die Geschichte dieses Glücksfalls.

Denn Schinkel war wohl der bedeutendste deutsche Baumeister des 19. Jahrhunderts, und er sann darüber nach, wie man mit bescheidenen Mitteln doch eine ansehnliche Dorfkirche bauen konnte . Da es an Baumaterial fehlte, musste der Grundriss so gewählt werden, dass bei gleichem Umfang an Mauerwerk eine möglichst große Fläche umfasst werden würde. Nun ist unter allen Rechtecken mit gleichem Umfang das Quadrat dasjenige, dessen Inhalt am größten ist. Aber Schinkel ging einen entscheidenden Schritt weiter. Noch günstiger ist das Verhältnis von umfasster Fläche und Umfang beim gleichseitigen Sechseck und noch günstiger beim gleichseitigen Achteck, dem Oktogon.

Das Oktogon kommt in der Baugeschichte öfter vor; so ist die Pfalzkapelle in Aachen in achteckiger Form erbaut, und dieser Bau Karls des Großen aus dem neunten Jahrhundert hatte noch ältere Vorbilder in Italien ( Pantheon in Rom und die Kirche Theoderichs in Ravenna).Und das von dem Stauferkaiser Friedrich II. in Süditalien im Hochmittelalter erbaute Castel del Monte besteht aus einer Kombination ineinander geschachtelter Oktogone.

Schinkel war wohl davon überzeugt, dass diese Konstruktion aufgrund der Materialersparnis, die sie erlaubt und aufgrund ihrer unaufdringlichen und doch gefälligen optischen Wirkung gerade richtig für eine Dorfkirche sei. Jedenfalls bestand er, der eigentlich mit weit größeren Bauwerken befasst war – von ihm stammen u.a. die Neue Wache in Berlin Unter den Linden und das Schauspielhaus – auf einer grundlegenden Änderung der Pläne, und er übernahm selbst die Bearbeitung der eingereichten Unterlagen. Und so erhielt Bischmisheim als einziger Ort im Saarland ein wunderschön gelungenes Werk des großen Baumeisters.

Das allerdings geschah nicht etwa mit Zustimmung der Bischmisheimer, sondern gegen deren hartnäckigen Widerstand; ja, die guten Leute waren geradezu entsetztvon der Vorstellung, einen so ungewöhnlichen, von ihnen noch nie gesehenen Kirchenbau in ihrem Dorf zu haben.

Aber Schinkel bestand auf seinem Vorhaben, und dem Landrat in Saarbrücken, einem weitsichtigen Mann, gelang es wohl, die aufgebrachten Bischmisheimer zu beruhigen, wenn auch nicht zu überzeugen. Jedenfalls bekamen sie so ein Meisterwerk, auf das ihre Nachkommen heute zu recht mächtig stolz sind.

Um die hierzu gehörige Aufgabe rechnen zu können, benötigen wir zwei Formeln aus der Dreieckslehre.

Cosinussatz:Sind a, b, c die Seiten eines Dreiecks und ist γ der von a und b eingeschlossene Winkel, so gilt: c2 = a2 + b2 – 2abcosγ . <o:p></o:p>

Flächeninhalt A eines Dreiecks in der Form A = 1/2·a·b·sin γ<o:p></o:p>

Hinweis: Statt des Quadratwurzelzeichens verwenden wir durchgehend die Potenz 0,5.

Gegeben ist ein gleichseitiges Oktogon (Achteck). Wir bezeichnen mit a die Länge einer seiner Kanten, mit U = 8a seinen Umfang, mit A seinen Flächeninhalt. Die Länge einer halben Diagonalen bezeichnen wir mit r (das ist der Radius des Umkreises des Oktogons).

Gegeben sei ferner ein Quadrat. Auch hier bezeichnen wir mit a die Seitenlänge, mit U = 4a den Umfang, mit A den Flächeninhalt.

Es soll nun gezeigt werden: Wenn ein Quadrat und ein gleichseitiges Oktogon gegeben sind, welche den gleichen Umfang U haben, so umschließt das Oktogon einen Flächeninhalt, der um rund 20 % größer ist als der Flächeninhalt des Quadrates.

Wir stellen für das Quadrat und für das Oktogon eine Beziehung auf, die jeweils den Flächeninhalt A mit dem Umfang U verknüpft.

Für das Quadrat ist das rasch gelöst. Sein Umfang ist U = 8a, sein Flächeninhalt ist

AQ = a2 =(U/4)2 = U2/16= 0,0625•U2

Im Fall des Oktogons ist die Rechnung ein wenig umfangreicher, aber wir werden den gleichen Weg gehen wie im Fall des Quadrates.

Das Oktogon besteht aus acht gleichschenkligen Dreiecken, deren Basis gleich a ist, deren Schenkel gleich r sind und die an der Spitze den Winkel 360°/8 = 45° haben.

Nach dem Cosinussatz ist a2 = 2r2 – 2r2cos45°
= 2r2(1 – cos45°)
= 2r2( 1- 1/2·(2)0,5)
=r2( 2 – (2)0,5).

Der Umfang ist damit gegeben als U = 8a = 8r( 2- (2)0,5 )0,5 und damit U2 = r2·64·(2 – (2)0,5)

Der Inhalt eines der acht Dreiecke ist gegeben durch½ ·( r2•sin45°) , und damit der Inhalt des Oktogons A=4·(r2•sin45°) = 2r2(2)0,5= 2·(2)0,5·r2.
Jetzt ersetzen wir r2 :

A = 2· (2)0,5 · U2 /(64·(2 – (2)0,5)=U2·(2)0,5/(32·(2 – (2)0,5))und damit endlich

AO = 0,0754·U2

Und jetzt kommen wir zum Schluss:(AO – AQ)/AQ = 0,2064Der Inhalt des Oktogons ist um rund 20% größer als der des Quadrates gleichen Umfanges.

Stellt man sich in die Mitte eines Quadrates, so sind die am weitesten entfernten Punkte die Ecken; sie sind eine halbe Diagonalenlänge entfernt; das ist gleich a/2·(2)0,5 . Die zunächst liegenden Punkte befinden sich genau in den Seitenmitten und haben die Entfernung a/2, das gesuchte Verhältnis ist damit gleich a/2 : d/2 = 1: 20,5 = 0,707<o:p></o:p>

Beim Oktogon ist die halbe Diagonale gleich dem Umkreisradius r. Die am nächsten liegenden Punkte liegen auf den Seitenmitten; ihre Entfernung vom Mittelpunkt ist gleich r·cos(22,5°). Das gesuchte Verhältnis ist damit gleich cos(22,5°) = 0,924.

Die Verhältnisse der Flächeninhalte der jeweiligen Inkreise zu der Gesamtfläche ist beim Quadrat gegeben durch3,14·(a/2)2/a2 = 0,785und beim Oktogon durch

3,14·r2·cos2(22,5°) / ( 8·0,5·r2·sin(45°) ) = 0,947<o:p></o:p>

Welche Bedeutung könnten diese Zahlen für die Dorfkirche in Bischmisheim haben?

Sie ist eine Predigerkirche, und da ist es günstig, wenn die Gemeindemitglieder nicht zu weit entfernt sitzen und wenn es kaum einen Unterschied in der Entfernung ausmacht, wohin sich die Zuhörer setzen. Und so sollte das Verhältnis der kleinsten zur kürzesten Entfernung – zunächst errechnet für die am äußersten Rand Sitzenden – möglichst nahe bei 1 liegen.

Die beiden zuletzt ausgerechneten Verhältnisse deuten nochmals an, um wie viel günstigerdie Flächenausnutzung beim Oktogon als beim Rechteck ist. Denn die Zuhörer werden sich auch bei einer Quadratform mehr oder weniger kreisförmig um den Prediger gruppieren. Der Raum wird um so besser ausgenutzt, je größer das Verhältnis von Inkreisfläche zur Gesamtfläche ist.Nimmt man diese Zahl als Maß für die Raumausnutzung, so ist das Oktogon dem Quadrat und damit erst recht jedem anderen Rechteck weit überlegen: In Prozenten ausgedrückt um( (0,947 – 0,785)/0,785)·100% = 20,6%